Wir sitzen mitten in Kathmandu unter einem großen Sonnenschirm und geniessen eine eisgekühlte Limonade. Fast befremdlich wirkt der ganze Luxus des wunderschönen Gartens unseres westlichen Hotels auf uns. Seit gestern sind wir zurück in Kathmandu von unseren 3-wöchigen Trekking Trip im Himalaya. Zumindest sind wir physisch hier. Unsere Köpfe sind sicherlich noch eine ganze Weile irgendwo in der Abgeschiedenheit der höchsten Berge der Welt.
Vor 3 Wochen sind wir hier angekommen in Nepal. Was für ein Kulturschock! Das saubere, geordnete und hochentwickelte Japan hat die Messlatte hochgelegt. Nepal - eines der ärmsten Länder der Erde - kann im ersten Moment nur verlieren. Dreck, Müll, und unterirdische hygienische Verhältnisse. Dazu chaotischer Verkehr, fremde Gerüche, Geschrei und Getümmel überall. Nepal erschlägt uns schon, als wir das Flughafengebäude in Kathmandu verlassen. Ich möchte zurück nach Japan! Sofort! Leider nicht möglich. Wir sind zum Trekken hierher gekommen. Also Augen (und Nase) zu und durch.
In unseren ersten Stunde in Nepal lernen wir einen Satz, den wir immer wieder hören werden: „You have to be flexibel, you know?“ Unsere Agentur, die uns hier begleitet, erklärt uns, dass wir leider nicht gemütlich in Kathmandu relaxen können, sondern früher als geplant in die Berge aufbrechen müssen. Der Flughafen von Kathmandu wird (spontan und mitten in der touristischen Hochsaison) renoviert. Flüge von Kathmandu in die Everst Region nach Lukla sind daher nicht möglich. Statt 30 Minuten Flug müssen wir daher 6 Stunden mit dem Auto in’s Nirvana fahren. Eine Fahrt über Schotterpisten und Schlaglöcher - sicherlich deutlich gefährlicher als ein nepalischer Inlandsflug. Inklusive eine Nacht an einem Ort, der auf die Touristenströme absolut unvorbereitet ist. Wir erhalten einen „Shared Room“: mit Kakalaken und Echsen unter unseren Kopfkissen wie wir in der Nacht herausfinden. An Schlafen ist also nicht zu denken. Morgens um 4 Uhr laufen wir dann zu Fuß zum local airport, um von dort aus in die Berge nach Lukla zu fliegen. Auf einem Acker werden wir und unser Gepäck gewogen und eingecheckt. Vertrauenserweckend - aber nach der vergangenen Nacht schockt uns nur noch wenig. Total übermüdet heben wir in einem Mikro-Flugzeug ab.
Schnell sind wir wieder hell wach, denn wir fliegen nach Lukla. Einem der gefährlichsten Flughäfen der Welt. Mitten in den Bergen, extrem kurze Landebahn, die ein starkes Gefälle hat. So bremst man bergauf beim Landen und beschleunigt bergab beim Starten. Wir landen sicher in Lukla und sind mit all dem Adrenalin im Blut plötzlich wieder richtig fit. Übrigens auch für Bikram - unseren Guide - war der Flug nicht weniger aufregend. Und er kannte das Spektakel schon ...
Nur einige Tage nach unserem Flug passiert ein tragischer Unfall am Flughafen. Ein Flugzeug kollidiert beim Startvorgang mit einem Hubschrauber. Das Flugzeug gehörte zu der Airline, mit der auch wir fliegen. „Summit Air hat jetzt nur noch 3 von 4 Flugzeugen“ kommentiert Bikram.
In Lukla stärken wir uns erstmal bei einem Hütten-Frühstück, bevor es für uns auf den Trek geht. Das soll übrigens für die kommenden Wochen immer gleich bleiben: Apple Pancake, Porridge und Toast Omlette. Zum Abendessen entschieden wir uns - nachdem wir ausgiebig die Speisekarte studiert haben - immer wieder für Dhal Bhat. Ein nepalisches Reis-/Linsengericht. Unser Guide nimmt unsere Bestellung täglich mit einem Schmunzeln auf. “Dhal Bhat power, 24 hour - no toilet no shower”.
Wir ernähren uns aus gutem Grund rein vegetarisch. Fast alle Lebensmittel müssen mühsam von Trägern oder Lasttieren von Lukla aus in die Höhe transportiert werden. Fleisch, das tagelang auf dem Rücken eines Yaks baumelt, um anschließend ungekühlt gelagert zu werden, erscheint uns wenig appetitlich. Und siehe da, wir hatten keinerlei Probleme.
Auf uns wartet der „3 passes Trek“. 3 Pässe über 5000m, gute 200km Strecke - und eine Anzahl an Höhenmetern, die uns niemand nennen möchte. Unser Guide Bikram lächelt nur und sagt: „We have to be flexibel“.
Als wenn er in diesem Moment schon wusste, dass wir den zweiten Pass wegen heftigem Schneefall nicht queren können, über 1000m in’s Tal absteigen und natürlich auch über 1000m wieder aufsteigen müssen.
Wir wissen das in diesem Moment zum Glück noch nicht und starten unbeschwert unseren Trek.
Im Schatten von Mount Everst, Lhotse, Ama Dablam, Cho Oyu und Co laufen wir jeden Tag fleißig unsere Kilometer. Schön hier! Vor allem schön stinkig. Die ersten 2 Tage von Lukla über das berühmte Namche Bazar teilen wir uns den Weg mit den Lasttieren: Mulis und Yaks.
Diese dekorieren den Weg nicht nur mit Ihren Ausscheidungen, sondern haben auch permanent Vorfahrt. “Mountain side!” ruft unser Guide oft, wenn die nächste Herde uns entgegen wackelt. Wir machen uns so flach wie möglich und pressen uns an die Bergwände. Leider wissen die Tiere nicht immer wie breit sie mit Last auf dem Rücken sind. So kollidieren wir schmerzlich mit der ein oder anderen Gasflasche.
Das “flach machen” fällt uns übrigens immer leichter. Souverän verschmelzen wir mit den Bergen ... und verbrennen auf dem Trek so viele Kalorien, dass Jan sich nach Woche 2 einen Gürtel von unserem Guide leihen muss. Die Hose fällt sonst tatsächlich von der Hüfte.
Die Khumbu Region ist zurecht ein Paradies für Bergsteiger. Ein Ort der Superlativen. Hier steht mit dem Mount Everst der höchste Berg der Erde. Umringt von zahlreichen 7000 und 8000ern, die nicht minder berühmt sind.
Hierher kommen die ganz Großen der Bergsteiger Szene mit Ihren Expeditionen hin. Diese werben auffällig mit Plakaten, Aufklebern und nicht zu übersehenden Logos auf Ihren Klamotten. Grosser Unterhaltungswert für uns. Sie wollen gesehen und gehört werden. Vor allem, weil wir wissen, dass statistisch gesehen ganz sicher nicht alle von ihnen die Expedition lebend beenden werden.
Die Abende in den Hütten werden so nicht langweilig für uns. Wir lernen viele spannende Menschen kennen. Auch deutlich leisere Typen, denen wir ganz beiläufig entlocken, dass sie den Mount Everest ohne Expedition und Sauerstoff besteigen möchten. Wir steigen zum Everest Basecamp auf.
Besagter leiser Vertreter richtet sich dort häuslich ein, um sich auf den Gipfelsturm Mitte Mai vorzubereiten. Wir machen ein paar Fotos und laufen wieder zurück in unser Teahouse oder unsere „Lodge“ - wie die Nepalis sagen.
In der “Logde” warten jede Nacht ein einfaches Zimmer und 2 Betten auf uns. 2 Betten - sonst nichts. In den meisten Fällen gibt es noch eine Glühbirne. Diese ist eigentlich nur Dekoration, denn Strom fällt hier entweder aus oder wird einfach abgestellt.
Die Abende verbringen wir in einem vergleichsweise komfortablen Gemeinschaftsraum, der - kurz bevor alle erfroren sind - mit einem Ofen beheizt wird. Brennmaterial: Getrocknete Kuhfladen. Die machen nicht nur warm, sondern sorgen auch für einen interessanten Raumduft.
Kurz vor dem Erfrieren ist übrigens nicht übertrieben. Wir wachen regelmäßig morgens mit von innen gefrorenen Fensterscheiben auf! In Höhen über 5000m friere ich sogar so sehr in meinem dicken Schlafsack, dass ich mit Daunenjacke und Mütze schlafe.
Die Toiletten - oder besser gesagt die keramischen Schüsseln im Boden - sind so fies und dreckig, dass wir die so selten wie möglich nutzen. Oftmals gibt es kein fließendes Wasser in den „Lodges“ - weder zum Putzen, noch zum Händewaschen oder zum Klo spülen. Dummerweise versorgen wir unsere Körper mit den geforderten 3-5l Flüssigkeit am Tag und kommen um den regelmäßigen Besuch der sanitären Anlagen nicht herum. Nepal bedeutet Komfort- und Hygieneverzicht sagt uns unsere Agentur schon bei der Buchung. Wie wahr!
Der absolute Luxus - die „hot shower“, die einige Unterkünfte anbieten. Eine willkommene Abwechslung zu Babywipes und feuchtem Toilettenpapier.
Und ja, es gab Tage und Nächte, an denen wir uns gefragt haben, was wir in all dem Dreck eigentlich machen? In denen ich die Toiletten mit Würgereiz wieder verlassen habe, oder in denen Jan sorgenvoll auf seine von roten Pusteln überzähten Händen geblickt hat. (Voraussichtlich handelt es sich nicht um Maul- und Klauenseuche, wie Jan ursprünglich vermutet hat, sondern “nur” um die durch sehr fettige Sonnencreme und hohe UV-Strahlung verursachte Sonnenallergie). Aber - wir sind in einem der ärmsten Länder der Welt. Was erwarten wir? 3 Wochen unter diesen Bedingungen haben uns in einigen Momenten vielleicht an unsere hygienischen Grenzen gebracht. Aber - 3 Wochen durch das Himalaya zu wandern war auch ein unbeschreibliches Geschenk. Was für eine Landschaft! Und was für eine herrliche Klarheit in unseren Köpfen.
Wir haben immer wieder die Möglichkeit in einem der zahlreichen Klöster zu pausieren und einen Hauch Buddhismus zu schnuppern. Auf Socken schleichen wir durch das eiskalte Innere der Klöster und bestaunen das fremde, bunte Innere. Besonders beeindruckt haben uns die heiligen Schriften, die in den Klöstern aufbewahrt werden.
Das Bizarre - wir haben viel gesehen, aber auch viel entdeckt, was wir hier in Nepal noch gerne sehen würden. Und wir denken schon darüber nach, wann wir wiederkommen können! Den Sonnenaufgang über Mount Everest & Co kann man sich einfach nicht oft genug anschauen.
Jetzt ist für uns und unsere müden Körper definitiv Zeit für ein bisschen mehr Luxus und Komfort gekommen. Wir lassen uns die nächsten Tage noch durch Kathmandu treiben und brechen dann auf nach Singapur und Lombok.
Namaste Nepal! Das heißt übrigens übersetzt: Ich sehe Dich, Nepal. Und wir sehen uns - wieder - da sind wir uns sicher.
Greta // am 70. Geburtstag von Papa // Kathmandu // 29. April 2019
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