Juni 2023 - Wir sind zurück in den Stan-Ländern! Vor einigen Jahren haben wir bereits während unseres Sabbaticals diesen spannenden Teil der Erde in Zentralasien erkundet. Damals allerdings mit dem Rucksack. Wir haben ganz wunderbare Erinnerungen an die Zeit, die wir in Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan verbracht haben. Kasachstan, das flächenmäßig größte der Stan-Ländern, kennen wir noch nicht. Mit unserem Fahrzeug werden wir das Land von West nach Ost durchqueren. Ein großes Vorhaben, denn Kasachstan ist das neunt größte Land der Erde! Mit einer Ost-West-Ausdehnung von 2800 Kilometern und einer Nord-Süd-Ausdehnung von 1.600 Kilometern ist das Land so groß, dass eine ganze Reihe an Ländern auf diesem Territorium Platz hätten: Spanien, Portugal, Frankreich, die Benelux-Staaten, Italien, Österreich, die Schweiz, Schweden, Dänemark, Großbritannien und Deutschland passen zusammen auf die Fläche, die Kasachstan auf der Weltkarte einnimmt.
Aus Russland reisen wir nach Kasachstan ein. In der russischen Stadt Astrachan, unweit der Grenze, gönnen wir uns nach unserer turbulenten Zeit in Russland eine Auszeit in einem kleinen Hostel. In klimatisierten festen vier Wänden detaillieren wir unsere weitere Reise-Route und waschen Wäsche. Wir gehen zum Frisör, stocken unsere Vorräte an Lebensmitteln und Wasser auf und genießen es, seit langem mal wieder mehrere Tage am gleichen Fleck zu sein. Wir essen uns quer durch die russische Küche mit ihrem kräftigen Borschtsch, leckeren Piroggen und der himmlisch süßen Kondensmilch, die es schon zum Frühstück, z.B. zu einem Pfannkuchen gibt.
Voller frischer Energie geht es für uns zur kasachischen Grenze. Nicht nur die Grenze, sondern bereits der Weg dorthin, sind in diesem Fall abenteuerlich. Denn unser Weg führt über eine schwimmende Brücke! Die sieht nicht nur richtig vertrauenserweckend aus, sondern knarzt und knackt während unserer Überfahrt dauerhaft gespenstisch. Die zahlreichen Pumpen, die permanent Wasser von den schwimmenden Ponton-Elementen pumpen, tragen nicht unbedingt dazu bei, dass wir uns auf dem schwimmenden Etwas sicherer fühlen.
Die letzten Meter auf russischem Boden nutzen wir noch für Telefonat, dass wir unbedingt heute führen möchten. Gretas Onkel wird 60 und hat viele liebe Menschen aus seinem Familien- und Freundeskreis zu einem rauschenden Fest nach Hamburg eingeladen. Wie gerne würden wir uns jetzt nach Deutschland beamen, um dem Geburtstagskind persönlich zu gratulieren und seinen besonderen Tag gemeinsam mit ihm feiern zu können. So bleibt uns nur, ein Ständchen über eine mäßig gute Leitung in die Heimat zu singen. Ein wenig nachdenklich und auch traurig beenden wir das Gespräch mit Kay. Es ist einer jener Momente, in denen wir merken, welchen Preis wir mit unserer langen Reise bezahlen. Einmalige Ereignisse wie diesen runden Geburtstag oder die in ein paar Wochen anstehende Hochzeit guter Freunde können wir nur in Gedanken aus der Ferne begleiten.
Kurz vor der kasachischen Grenze treffen wir ein französisches Overlander-Pärchen, die gerade von Kasachstan zurück nach Russland eingereist sind. Die beiden sind so aus dem Häuschen, dass sie andere europäische Reisende treffen, dass wir uns eine ganze Weile in der obligatorischen Schlange, die zur Grenze führt, unterhalten. Wir bekommen von den Franzosen viele wertvolle Tipps für das Land. Unter anderem berichten sie uns von ihren Begegnungen mit der kasachischen Polizei. Auch wir haben bereits gehört, dass es Gang und Gebe ist, Ausländer mit Bußgeldern für angeblich begangene Delikte im Straßenverkehr zu belegen. Die Franzosen wurden während ihrer Zeit in Kasachstan gleich fünfmal von der Polizei angehalten und sollten Bußgelder zwischen 200 und 500 US-Dollar bezahlen. Ihr Ratschlag: „Stellt Euch einfach dumm! Ihr versteht kein Russisch, kein Kasachisch, Euer Google Übersetzer funktioniert nicht und ihr habt kein Bargeld dabei. Haltet Ihr Euch daran, lassen sie Euch nach ein bis zwei Stunden einfach weiterfahren. Das hat bei uns ganz gut funktioniert.“ Eine wertvolle Begegnung und ein wichtiger Tipp. Gleich an Tag zwei im Land werden auch wir von der Polizei angehalten. Angeblich, weil wir mit einem defekten Front-Scheinwerfer unterwegs waren. Dass das Licht, als wir anhalten, tadellos funktioniert, interessiert nicht. It’s magic! Gut gebrieft bleiben wir ruhig und hartnäckig, weigern uns, in das Polizei Fahrzeug zur Befragung einzusteigen oder irgendetwas zu bezahlen. Zu unserem Glück fängt es irgendwann sintflutartig an zu regnen, den Polizisten wird die Diskussion mit uns zu müßig und sie lassen uns – ohne die geforderte Strafe, die zwischenzeitlich übrigens zwischen 50 und 200 Dollar schwankte - weiterfahren.
Der Grenzübertritt von Russland nach Kasachstan ist erstaunlich entspannt. Das zeitaufwendige Importieren unseres Fahrzeugs fällt kurz aus, da die russischen Papiere weiterhin Gültigkeit haben. An dieser Grenze führt es allerdings zum ersten Mal unserer Reise zur Verwirrung, dass wir jeder mit zwei Reisepässen reisen. Berechtigterweise fragt man uns, wie wir aus Deutschland über Land bis hierher gekommen sind, wenn in unsern Pässen doch nur russische Stempel und Visa sind. Da muss doch etwas nicht stimmen. Alle anderen Grenzen haben wir mit dem jeweils anderen Pass passiert. Das können wir natürlich nachweisen, in dem wir alle Ein- und Ausreisestempel in unserem weiteren Pass vorzeigen. Unsere vier Pässe werden daraufhin akribisch beleuchtet und mit Lupen untersucht. Die Adleraugen der Grenzbeamten sind sich nach intensiver Prüfung dann irgendwann doch einig: tatsächlich - alle Pässe sind echt. Unser Fahrzeug wird ebenfalls interessiert begutachtet. Allerdings beantworten wir in diesem Fall mehr Fragen zu unserem Ausbau und Fahrzeug, als zu den Gütern, die wir mit über die Grenze nehmen. So ein spannendes Reisemittel hat man hier noch nicht gesehen. Willkommen in Kasachstan, Familie Bond!
Vor uns und unserem Weg Richtung Osten liegen nicht nur viele Kilometer, sondern auch herausfordernde Pisten. Kurz hinter der Grenze wartet gleich ein besonderes Schmankerl auf uns. Die Strecke zwischen den Astrachan und Atyrau ist eine mit Schlaglöchern übersähte Piste, über die wir einen ganzen Tag gemeinsam mit zahlreichen 40 Tonnern schleichen. Für knapp 120 Kilometer benötigen wir stolze neun Stunden. Bei einer Außentemperatur von über 40 Grad schwitzen wir ohne Klimaanlage an diesem Tag besonders. Auch im Inneren des Fahrzeugs erreichen die Temperaturen fast die 40 Grad Marke. Zur Krönung zieht noch ein Sandsturm auf, der zwar ordentlich Wind und Sand durch das Fahrzeug wehen lässt, aber leider keine Abkühlung bringt.
Auch nachts kühlt es für mehrere Tage nicht unter 25 Grad ab. Die Hitze macht uns und unserem Fahrzeug ganz schön zu schaffen. Irgendwo im Schatten anhalten unmöglich, denn Schatten gibt es schlichtweg keinen! Wir fahren durch schier endlose Steppe und Wüste. Unfassbare Weite, soweit das Auge reicht.
Allein sind wir in der kargen Umgebung dennoch nicht. Immer wieder finden wir wilde Pferde neugierige Kühe oder lustige Kamele in diesem so lebensfeindlich anmutenden Raum.
Entlang unseres Weges tauchen kleine Siedlungen wie Oasen aus dem Nichts auf. In jeder dieser Oasen gibt es mindestens eine Tankstelle, die wir dankbar nutzen. Denn dort haben wir zumindest für ein paar Minuten Schatten. Für einen Liter Benzin in der besten Qualität mit 95 Oktan zahlen wir umgerechnet ca. 40 Cent. Würden wir Diesel tanken, müssten wir als Ausländer einen Aufschlag bezahlen. Alle Tankstellen weisen daher direkt zwei Dieselpreise aus.
Besonders groß ist der Kontrast zwischen Einsamkeit und Einfachheit der Steppe in den großen Städten, die auf unserer Route liegen. Von jetzt auf gleich verschwinden Wind und Sand und wir sind in einer Welt aus Asphalt und Beton. Was für ein Kontrast innerhalb von Minuten. In diesen urbanen Oasen vertreten wir uns fleißig unsere Beine, stocken unsere Vorräte auf und genießen Essen auf westlichem Niveau. Wer hätte das gedacht, dass das ausgerechnet mitten in Kasachstan möglich ist. Zu unserem Glück fallen die Temperaturen um 20 Grad und es regnet sogar hin und wieder. Das macht unsere langen Tagesetappen im Fahrzeug erträglicher und die Nächte im Dachzelt plötzlich wieder angenehm kühl. Den Daunenschlafsack, den wir eigentlich schon verpackt hatten, holen wir also wieder hervor. Bei 6 Grad nachts ist es ohne Schlafsack zu kalt. Nicht nur die Landschaft ist voller Kontraste hier in Kasachstan, das Wetter und die Temperaturen auch.
Egal, wo wir anhalten, werden wir neugierig und mit einem Lächeln im Gesicht begrüßt. So knüpfen wir bei diversen Tankstopps oder am Straßenrand spannende und wertvolle Kontakte. Wir erfahren, welche Straßen in welchem Zustand sind, wo es eine wertige Tankstelle oder einen gut sortierten Supermarkt gibt. Auf unsere Navigationsgeräte können wir uns hier leider nicht mehr verlassen. Auch, wenn es sich seltsam anfühlt, entgegen der Empfehlung der elektronischen Helferlein abzubiegen, die Tipps der Einheimischen waren bis jetzt immer goldrichtig. So fahren wir über frisch asphaltierte Straßen, die Google Maps noch nicht einmal kennt.
Mittlerweile sind wir in der Hauptstadt des Landes, Astana, angekommen. Astana stellt alles, was wir bis jetzt an urbanem Raum in Kasachstan gesehen haben, in den Schatten. Hier gilt das Motto: größer – höher – weiter. Auf unserem 10km langen Spaziergang durch die Stadt sehen wir nur einen Teil des Stadt-Zentrums. Irgendwie fühlen wir uns, als würden wir über den verlassenen „Strip“ in Las Vegas schlendern. Ein Phänomen, das wir aus Zentralasien bereits kennen. Es ist oftmals gespenstisch leer. Für einen touristischen Besuch aber natürlich optimal. So schlendern wir an einem Samstagnachmittag durch ein Astana, das sich anfühlt, als würden wir es unter der Woche in den frühen Morgenstunden erkunden.
Jan fängt sich leider in der Hauptstadt einen fiesen Virus ein, der ihn mit Fieber außer Gefecht setzt. Wir kurieren uns also kurzerhand in festen vier Wänden in einem AirBnB aus. So macht es für uns aktuell keinen Sinn, uns fortzubewegen. Auswahl an modernen und bezahlbaren Unterkünften gibt es hier zum Glück ausreichend. Wir finden eine nette Bleibe in der Nähe des ehemaligen Expo-Geländes.
Das gibt Maybrit und Niklas, unseren Reise-Freunden, die unsere Ersatzteile aus Georgien zu uns fahren, die Chance zu uns aufzuschließen. Leider hatten auch sie technische Probleme. In Russland hatten die beiden mit einer defekten Lichtmaschine zu kämpfen, so dass auch sie hinter ihrem Zeitplan sind. Wir freuen uns, dass unser Netzwerk vor Ort zumindest ein wenig unterstützen kann. Wir kontaktieren den Besitzer des russischen Hostels in Astrachan, bei dem wir einige Tage verbracht haben. Maybrit und Niklas dürfen Ihren LWK kurzerhand vor der Unterkunft abstellen und werden von ihm mit Werkstätten in der Stadt vernetzt. Ehrensache, dass er auch ihnen hilft.
Sobald Jan wieder auf den Beinen ist, geht es für uns weiter Richtung Osten. Wir nehmen Kurs auf die Mongolei. Da Kasachstan und die Mongolei keine direkte Grenze haben, werden wir für einen weiteren ca. 1000km-Transit durch Russland fahren. Auf die Mongolei freuen wir uns ganz besonders. Wir haben noch viele herzliche Kontakte vor Ort. Das Land hat seitdem wir 2019 das erste Mal dort waren, einen ganz besonderen Platz in unseren Herzen. Dort in der Wüste Gobi, die wir damals mit einem alten russischen UAZ Jeep durchquert haben, hatten wir zum aller ersten Mal die Idee, eines Tages ein eigenes Fahrzeug zu einem Expeditionsmobil auszubauen. Was für ein großer Kreis würde sich für uns schließen, wenn wir es nun mit unserem Puch tatsächlich dorthin zurück schaffen würden…
Greta // 29. Juni 2023 // Astana, Kasachstan
Sehr gute Seite. Ich habe Euch durch Maybrit und Niklas gefunden und schau mir alles andere noch an. Habt Ihr auch einen Youtube-Kanal? Liebe Grüße aus Wien Doris
Einmal mehr: Sehr schön!! Viele liebe Grüße und weiter gute Fahrt