„Welcome to Saudi Arabia!“ Diesen Satz hören wir jeden Tag mehrfach. Er gehört einfach zu Saudi-Arabien und seinen Einwohnern. Sie empfangen uns mit einer Herzlichkeit und Großzügigkeit, die alles bisher Erlebte in den Schatten stellt.
Doch wer oder was ist Saudi-Arabien? Wir wissen wenig über den großen Wüstenstaat auf der arabischen Halbinsel. Wie auch, das Land hat sich erst vor wenigen Jahren für den Tourismus geöffnet. Seitdem durchläuft es eine rasante Transformation. Durch den Ölexport stieg das Land in wenigen Jahrzehnten von einem unbedeutenden Wüstenreich zu einer global einflussreichen Macht auf. Mit seinen Petrodollars kauft es sich wichtige Loyalitäten aber auch Berühmtheiten ein. So spielt beispielsweise Fußball-Star Christiano Ronaldo nun für einen Club in der Hauptstadt des Landes, in Riad.
Wir erleben ein Saudi-Arabien, in dem Männer und Frauen Fahrzeuge im Straßenverkehr bewegen und gemeinsam in Restaurants oder Cafés ausgehen. Das war nicht immer so. Saudi-Arabien war jahrzehntelang das Land, in dem Frauen nicht Auto fahren durften. Nun dürfen sie nicht nur das, sondern können auch Fußballspiele in Stadien besuchen und alleine, ohne männliche Begleitung, reisen. Auch das war ihnen vor nicht allzu langer Zeit verwehrt.
Das Land ist in einer rasanten Transformation: politisch, gesellschaftlich und religiös. Der junge Kronprinz des Landes möchte mit seiner „Vision 2030“ sein Land öffnen. Überall sehen wir bunte Werbeplakate für die „Vision 2030“ – übrigens entwickelt von der Unternehmensberatung McKinsey. Meist umgeben von riesigen Baustellen. Es scheint, als würde das Land einmal von links auf rechts gekrempelt. Und das mit Krawumm – schaut Euch im Internet zum Beispiel mal das Mega-Projekt „Neom“ an.
Saudi-Arabien beherbergt zwei der heiligsten Stätten des Islams: Mekka und Medina. Für uns als Nicht-Muslime sind diese Orte nicht zugänglich. Das macht gar nichts, denn zu entdecken gibt es im Land auch so genug. Überraschenderweise muss sich Greta im sehr konservativen islamischen Land ausschließlich „moderat“ kleiden, aber nicht komplett verschleiern. Eine Wohltat bei den Temperaturen, die jetzt schon an der 40 Grad Marke kratzen. Trotzdem seltsam, da uns insbesondere in ländlichen Gebieten fast ausschließlich komplett schwarz verschleierte Frauen begegnen. Nur noch durch einen kleinen Schlitz blicken uns große, dunkle und meist auffällig geschminkte Augen an. Selbst die Augenbrauen verschwinden unter einem schwarzen Schleier. Für uns sehen so die saudischen Frauen alle gleich aus. Wir fragen uns ernsthaft, wie kleine Kinder ihre Mütter in den vielen riesigen Einkaufszentren und Malls wiederfinden, falls sie einmal verloren gehen.
In keinem anderen Land unserer Reise sind wir bisher so reich und häufig beschenkt worden wie in Saudi-Arabien. Schon kurz nach der Einreise in das Land werden wir an der Grenze mit Lebensmitteln und Getränken beschenkt. Eine Einladung in Saudi-Arabien abzulehnen, gilt als sehr unhöflich. So schlürfen wir unzählige Tassen köstlichen arabischen Kaffee und Chai und naschen dazu herrlich süße und saftige Datteln. Die Einladungen erfolgen immer spontan und werden sofort angenommen. So sitzen wir eines Abends in der Dunkelheit am Straßenrand und lassen uns auf einen heißen Kaffee und ein nettes Gespräch einladen. Weiterfahren können wir schließlich danach noch.
Oft bleibt es nicht bei einer Tasse arabischem Kaffee. Auf einen arabischen Kaffee folgt immer ein zuckersüßer Chai. Beides wird so lange und so oft nachgefüllt – es sei denn, man weigert sich erfolgreich. Schnell lernen wir, dass wir dies signalisieren können, in dem wir unsere rechte Hand auf die kleinen Tassen legen oder die Gläser leicht schütteln. Ist der Kaffeeklatsch beendet, gibt es noch schnell was auf die Hand bzw. in unserem Fall für die weitere Fahrt. Meistens handelt es sich um Datteln und gekühltes Flaschenwasser. Alle Saudis, denen wir begegnen, scheinen einen unerschöpflichen Fundus davon in den Kofferräumen ihrer großen SUVs zu haben.
Nicht zu vergessen, den obligatorischen Spritzer Parfüm, mit dem wir zum Abschied besprüht werden. Ein Unisex Duft – immerhin! Verweigern? Fast unmöglich. Denn das Parfüm bringt doch Glück! Und auch hier gilt: fast jeder Saudi, dem wir begegnen, hat in der Mittelkonsole seines Fahrzeugs nicht wie Deutschland ein Päckchen Tempos oder eine Dose Kaugummis, nein: einen Flacon mit Parfüm. Man weiß schließlich nie, wen man so trifft und wen man beduften möchte. Unvergessen bleibt ein Duft, der nach mehreren Wochen immer noch in unseren Daunen-Westen klebt. Bei den hochsommerlichen Temperaturen tagsüber entfaltet sich das süße Parfüm auch dann im Innenraum unseres Fahrzeugs, auch wenn wir unsere Daunen-Westen tagsüber gar nicht tragen. Zum Glück fahren wir meist mit offenen Fenstern und lüften so automatisch gut durch.
So reisen wir seit Tag eins im Land mit einer gewissen zeitlichen Flexibilität. Stets vorbereitet auf die nächste Einladung. Die ist nicht immer nur eine „schnelle“ (hier sprechen wir von ca. einer Stunde) Tasse Kaffee, sondern auch mal eine mehrstündige Einladung. Zwei Frauen laden uns als wir unsere SIM Karte in einem Shop aufladen nach Hause zu sich ein. Die Einladung entpuppt sich zu einem mehrstündigen köstlichen Essen. Da wir uns angeregt unterhalten bleibt für das Kochen keine Zeit. Das Essen wird, wie so viele andere Dinge, einfach bestellt und geliefert. Unser Highlight: ein Wasserpfeifen-Lieferdienst. Der liefert Wasserpfeifen Sets, inklusive Kohle, Tabak, Feuerzeug und sogar Wasser mit nur einem Klick an jeden Ort im Großraum Riad.
Anfänglich sind wir oft unsicher, wann wir uns aus einer Einladung wieder lösen sollen bzw. dürfen. Wir sind erleichtert, als wir lernen, dass es hierfür eine einfache Geste des Gastgebers gibt. Mit dem Entzünden von Weihrauch in einer kleinen Schale signalisiert er seinen Gästen auf höfliche Weise, dass es nun an der Zeit ist, zu gehen. Wobei von gehen nur noch in den seltensten Fällen gesprochen werden kann. Meist kugeln wir uns zurück zu unserem Fahrzeug. Schwer beladen mit Kleinigkeiten wie 2kg Datteln oder einer handlichen 5l Trinkwasser-Jumbo-Flasche.
Allein sind wir im riesigen Saudi-Arabien in jedem Fall nie. Egal, in welcher Einöde wir anhalten. Stets werden wir höflich und neugierig mit folgenden Worten begrüßt: Welcome to Saudi-Arabia! Do you need any help? Auch, wenn wir verneinen, heißt dies nicht, dass das Gespräch beendet ist. So kommt es vor, dass ein Saudi zwar in seinem Auto davonbraust, nur aber, um wenig später mit Tüten voller Obst zurückzukommen. Uns nicht wenigstens eine Kleinigkeit zu schenken, das geht gar nicht, versichert er.
Sehr liebenswert fanden wir auch jene Familie, die uns mit einem Lieferservice Essen an unser Fahrzeug liefern lässt. Auch ihnen haben wir kurze Zeit vorher auf die Frage: „Do you need any help?“ mit einem deutlichen „No, thank you“ geantwortet. Wenn das nicht Anlass genug ist, uns mit zwei riesigen Portionen des Nationalgerichts „Kapsa“ (ein Gewürzreis mit wahlweise Fisch oder Fleisch) zu überraschen. Die Portionen sind so groß, dass wir noch am folgenden Tag von ihnen essen können.
Wenig später steht ein weiterer Saudi neugierig grinsend an unserem Fahrzeug und bringt uns zum Nachtisch eine Kanne Tee, eine Kanne arabischen Kaffee und eine Hand voll Dattel-Pralinen vorbei. Da uns diese gut schmecken und wir dies natürlich im gegenüber auch gleich äußern, kehrt er wenig später mit der zehnfachen Menge zu uns zurück. Uns werden 100 Pralinen geschenkt. Dass wir so viele Pralinen nie im Leben allein essen können – unwichtig. Ablehnen – nicht möglich. Also nehmen wir dankend 100 Pralinen an, die natürlich bereits in der Hitze der Nacht beginnen zu schmelzen.
Die Liste solcher herzlichen und großzügigen Begegnungen ist schier unendlich. Saudi-Arabien empfängt uns mit einer Wucht an Gastfreundschaft. Dabei haben uns viele andere Reisende vor der arabischen Halbinsel „gewarnt“. Überlegt Euch gut, ob ihr dorthin reist und bleibt nicht zu lange. Es ist unglaublich teuer dort. Das können wir nun nicht bestätigen. Unsere Ausgaben beschränken sich in Saudi-Arabien fast ausschließlich auf Kraftstoff. Und ein Liter Benzin kostet uns umgerechnet etwa 0,60 Euro.
Vielleicht ist es nicht einfach nachzuvollziehen, aber nach einiger Zeit im Land beginnt uns, die überschwängliche Gastfreundschaft schier zu erdrücken. Es ist fast unmöglich ein wenig Privatsphäre zu finden. Kaum halten wir an, steht ein liebenswerter Mensch an unserer Türe und möchte uns helfen oder einladen. Wir fühlen uns richtig schlecht, denn das ist mit Sicherheit das Letzte, was all die neugierigen Menschen bei uns auslösen möchten. Dennoch nimmt uns dies unseren gewohnten privaten Raum, den wir einfach ab und an brauchen.
Wie es der Zufall will lernen wir an einem Tag irgendwo im Nirgendwo auf der saudischen Autobahn eine Gruppe von Motorradfahrern kennen. Sie überholen uns während der Fahrt, winken freundlichen und sind regelrecht erleichtert, als wir uns einige Kilometer später an der Tankstelle wiedertreffen. Sie dachten, so langsam wie wir auf der Autobahn fahren, müssen wir doch ein technisches Problem haben! Anmerkung: 90 km/h sind mit unserem alten Puch eine rasante Geschwindigkeit und es ist alles in Ordnung mit unserem Fahrzeug (inshallah!).
Einer der Biker ist Khalid. Arzt in Riad und ein Mensch, der unsere Zeit in Saudi-Arabien maßgeblich geprägt hat. Er öffnet uns mit seinem Netzwerk, das weit über die Hauptstadt hinausgeht, Türen, die uns unter anderen Umständen mit Sicherheit verschlossen geblieben wären. Mit einer Selbstverständlichkeit legt er seine schützende Hand über uns und stellt uns Freunden und Bekannten im ganzen Land vor. Ein Anruf hier, ein Kontakt dort. Auf einmal sind wir vernetzt im Land. Und über Kontakte und Beziehung läuft in Saudi-Arabien vieles.
In Riad dürfen wir eine ganze Weile im Khalids Ferienhaus wohnen. Eine Villa mit Butler, Pool und der so vermissten Privatsphäre. Die Abende und Wochenenden verbringen wir regelmäßig mit Khalid. Wir essen uns durch die köstliche arabische Küche, rauchen gemeinsam Shisha, machen Ausflüge und erkunden Riad. Bezahlen dürfen wir nicht einen einzigen Cent. Khalid hat uns in sein großes Herz geschlossen und erklärt und mit einem breiten Grinsen auf den Lippen: You are family now!
Über Khalids Beziehungen lernen wir einen ranghohen pensionierten General des saudischen Militärs kennen. Letzterer lädt uns zu sich nach Hause ein. So sind wir plötzlich zu Gast bei Colonel Abdulaziz in einer Stadt namens Hail. In seinem Haus werden wir fürstlich verköstigt und begleiten ihn zwei Tage in seinem Alltag. Übernachten dürfen wir nicht in unserem Fahrzeug. Der General besteht darauf, dass wir in seinem Gästehaus in der Nähe unterkommen. Dieses entpuppt sich als Hotel, sein Hotel. Wir bekommen ein möbliertes Apartment zur Verfügung gestellt.
Tagsüber verbringen wir gemeinsam Zeit in seinem Haus. Hier gehen neben uns viele weitere Gäste ein und aus. Unter anderem auch der ehemalige saudische Minister für Sport. Der spricht zwar kein Englisch, ist aber sehr angetan von uns und unserer Reise. Zum ersten Mal zeichnet es sich aus, dass wir ein paar Brocken Arabischen gelernt haben, die wir sogleich einsetzen. Neben dem Minister kommen und gehen weitere Persönlichkeiten des Ortes ein und aus. Ob sie wegen uns kommen, oder Abdulaziz einfach so besuchen, erschließt sich uns nicht. Allesamt sind es Männer. Eine skurrile Situation. Uns wird bewusst, in welcher Sonderrolle insbesondere Greta als westliche Touristin hier ist.
Neben all den persönlichen Begegnungen hat Saudi-Arabien auch landschaftlich einiges zu bieten. Die weiten und oft öden Strecken durch staubige Wüstenlandschaften führen uns vor Augen, wie groß das Land ist. Saudi-Arabien ist das 12. größte Land der Erde und umfasst mehr als die Hälfte der Fläche der EU. Und es ist vielfältig. So schlafen wir am subtropischen Ufer des arabischen Golfs. (Ihr habt richtig gelesen, der persische Golf wird von den stolzen Saudis als arabischer Golf bezeichnet). Wir durchfahren Landschaften wie Al Ula mit unglaublichen Felsformationen, frieren im Regen am Fuße einer mächtigen Vulkankette und besuchen die sagenumwobenen Felsengräber der Nabatäer in Hegra. Und natürlich sehen wir überall Unmengen an Kamelen. Selbst in der vermeintlichen Einsamkeit der Wüste werden zu Kaffee und Chai eingeladen. Hier allerdings mit einem Schuss frischer Kamelmilch und einem Besuch bei den Kamelen inklusive.
Bevor wir Saudi-Arabien verlassen, folgen wir Khalids Wunsch und besuchen ihn noch einmal in der Hauptstadt. Wieder überlässt er uns sein Ferienhaus auf Zeit. Gemeinsam haben wir erneut eine wunderbare Zeit. Ein würdiger Abschluss. Unseren Aufenthalt in Riad nutzen wir außerdem zum Waschen. Auch, wenn es hier vieles gibt. Waschmaschinen oder Waschsalons finden wir hier keine. Alles scheint chemisch gereinigt zu werden. In Riad entdecken wir tatsächlich einen Shop mit klassischen (sauberen!) Waschmaschinen und lassen diese alle einmal so richtig glühen. Unser Fahrzeug bekommt noch einmal ein Schaumbad. Trotzdem ist es am nächsten Tag schon wieder von einer feinen Sandschicht überzogen. Wir sind eben in einem Wüstenstaat.
Uns fällt es nicht leicht, Khalid und Saudi-Arabien zu verlassen. Auf dem Weg zur Grenze nach Bahrain wird uns bewusst: wir sind als Fremde gekommen und gehen als Freunde. Wir verlassen ein Land, über das wir so wenig wussten und in dem es für uns so viel zu entdecken gab. Landschaftlich, aber vor allem menschlich. Saudi-Arabien hat uns mit offenen Armen empfangen und uns mit seiner Gastfreundschaft verzaubert. Wir sind uns sicher: wir kommen wieder!
Greta // 21. April 2024 // Salalah, Oman
Einmal mehr ein wunderbarer Bericht garniert mit tollen Fotos. Gute Reise, wohin auch immer es geht.
Unglaublich, welche Einblicke Ihr mit Euren Berichten vermittelt und so manches Vorurteil doch relativiert wird.
Alles Gute auf eurer weiteren Tour - bleibt vor allen Dingen gesund - und Euer Puch auch 😎 Wir sind gerade von unserer mittlerweile fast jährlichen Korsika-Tour zurück.